Die Wiedergeburt von Omega
Chapter 855: Eine Version eines Mannes (Kap.856)
CHAPTER 855: EINE VERSION EINES MANNES (KAP.856)
Das rubinrote Biest bewegte sich nicht.
Es machte keine Anstalten zuzugeben, dass es auch nur ein Wort von dem gehört hatte, was sie gerade gesagt hatte. Aber sie wusste, dass es sie verstanden hatte, sie wusste, dass es sie perfekt verstand.
Seine Augen zeigten Unnachgiebigkeit und eine einfache Botschaft, dass es diesmal nicht ohne sie gehen würde.
Neveahs Herz sank. Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Sie wusste nicht, wie sie das Tier überzeugen sollte, es aufzugeben...
Aber sie wusste, dass sie nicht gehen konnte. Noch nicht. Nicht ohne Eira.
"Ich habe es ernst gemeint", sagte sie erneut. Diesmal war ihre Stimme fester, kälter. "Du musst gehen. Es ist hier nicht sicher."
Das rubinrote Ungeheuer zuckte nicht einmal mit der Wimper. Es starrte nur. Als hätte es ihre kalte Fassade durchschaut und genau gewusst, was sie vorhatte.
Neveah gab das Schauspiel fast augenblicklich auf. Sie trat näher heran. "Bitte ... tun Sie das nicht. Mach es nicht so schwer."
Immer noch nichts.
Eine Mischung aus Hilflosigkeit und Frustration brannte in ihrer Brust. Sie presste ihre Kiefer so fest zusammen, dass sie anfingen zu schmerzen. "Ich bitte dich zu gehen, nicht weil ich dich nicht hier haben will ... sondern weil deine Anwesenheit dich in Gefahr bringt."
Und sie auch... aber das sagte Neveah nicht. Sie wusste nicht, ob sie der Bestie das mit Eira sagen konnte. Sie wusste immer noch nicht viel über es, außer dass es vertrauenswürdig war.
Die Bestie bewegte sich schließlich. Langsam, aber bedächtig. Es ließ sich herab, kauerte tief, die Flügel fest an die Seiten gepresst, bis es so tief war, wie es nur konnte.
Sie erstarrte.
Es war ein seltsames Gefühl, seine Botschaft zu verstehen, ohne dass ein Wort zwischen ihnen gefallen war. Da war einfach etwas anderes. Ein Wissen tief in ihr, an dem sie weder zweifeln noch es in Frage stellen konnte.
Das rubinrote Biest wollte, dass sie mit ihm kam.
Ihre Brust spannte sich an. Das Wort lag ihr schwer auf der Zunge, noch bevor sie es aussprach. "Nein", flüsterte sie.
Das Biest legte den Kopf schief, als könne es ihre Antwort nicht glauben.
"Ich kann nicht." Sie schüttelte fest den Kopf. Ihre Stimme war jetzt kräftiger. "Ich kann nicht mit dir gehen."
Sie sagte nicht, warum. Sie wollte nicht.
Vielleicht, weil sie es selbst nicht ganz verstanden hatte. Vielleicht, weil es zu real wäre, wenn sie es in Worte fassen würde, dass sie genau da war, wo Alessio und seine Kohorte sie haben wollten.
Die Bestie senkte langsam den Kopf. Vielleicht war es aus Verständnis. Sie hoffte, dass es so war. Andererseits verstand es vielleicht auch nicht. Vielleicht war es nur des Hin und Her müde.
Neveah trat wieder näher heran. Diesmal war sie vorsichtig, ihre Schritte waren langsam und behutsam.
Sie war nicht so erschrocken wie bei ihrer letzten Begegnung. Sie war nicht einmal ängstlich. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass das rubinrote Tier furchterregend war, mit Stacheln in der Mähne und Hörnern, die scharf glitzerten.
Es konnte sie mit jedem Teil seines Körpers in Stücke schlagen. Es war, als stünde sie einem unbezwingbaren Berg gegenüber, und sie hatte nichts zum Schutz, außer dem Glauben, dass sie sich kannten.
Trotz tausend Gründen, es sich zweimal zu überlegen, streckte sie ihre Hand aus, bevor sie es sich recht überlegt hatte, und legte sie sanft auf seinen geschuppten Kopf.
Und dann hörte sie es. Ein tiefer Bariton, dick vor Verzweiflung.
"Das hat ja lange genug gedauert. Ich dachte schon, ich müsste das ganze Jahr warten."
Sie blinzelte. Aber sie hatte keine Zeit, seine Worte zu verarbeiten, denn vor ihren Augen weiteten sich die Augen des Tieres, und die Verwandlung begann.
Sie hörte das Knacken von Knochen und wich schnell zurück, hob die Hand, um ihr Gesicht zu schützen, als eine Staubschicht vom Waldboden aufstieg.
Muskeln zogen und formten sich. Schuppen kräuselten sich, falteten sich zu Fleisch und machten einer völlig anderen Form Platz.
Ein Mann ... zumindest etwas, das dem nahe kam. Immer noch hoch aufragend, immer noch imposant. Aber sehr wohl eine Version eines Mannes.
Die Flügel blieben jedoch erhalten und ragten wie gebrochene Gliedmaßen hervor. Auch einige Schuppen waren noch vorhanden, die wie nicht verheilte Wunden über seine Haut verstreut waren.
Er war keine Bestie mehr, aber er war auch nicht ganz ein Mensch. Als säße er auf halbem Weg dazwischen fest.
Seine Atmung war rau und schwerfällig. Seine Augenbrauen waren verzerrt und auf seiner Stirn glänzte eine Schweißschicht. Der Wechsel hatte ihn offenbar sehr belastet.
Dann sprach er wieder,
"Neveah."
Es war nur ihr Name. Aber es war mehr als genug, um jede ihrer Unsicherheiten zu bestätigen.
Ihre Augen weiteten sich. Das hatte sie nicht erwartet. Der Klang seiner Stimme war ein Echo von etwas, das sie schon so oft gehört hatte.
Sie stieß einen zittrigen Atemzug aus. Sie beobachtete ihn nur, wagte es nicht, sich ihm zu nähern oder ihn zu fragen.
Er machte einen Schritt auf sie zu, oder versuchte es, aber er schwankte. Ein Bein knickte unter ihm ein. Ohne nachzudenken, griff Neveah nach seinen Armen und stützte ihn.
Er zuckte sichtlich zusammen und biss die Zähne so fest zusammen, dass sie die Anspannung in seinem Kiefer sehen konnte. Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er Schmerzen hatte. Seine Augen leuchteten davon.
Ihre Augen tasteten ihn schnell ab, aber sie konnte nicht sehen, wo. Es gab keine Wunde an ihm, kein Blut. Nur sichtbare Schmerzen.
"Wir haben keine Zeit ...", hauchte er zittrig und brachte kaum die Worte heraus. "Wir müssen gehen. Jetzt."
"Du kannst nicht einmal stehen", widersprach Neveah. "Wie willst du denn irgendwo hingehen?"
Er versuchte, einen Schritt vorwärts zu machen, sackte aber auf die Knie.
Sie hockte sich neben ihn, die Brauen vor Sorge gerunzelt. "Dir geht es nicht gut. Übertreiben Sie es nicht."
Er stöhnte leise, sein Körper zitterte sichtlich. Es sah aus, als ob er versuchte, sich wieder zu verwandeln oder seine Verwandlung zu vollenden und die Flügel loszuwerden. Aber es klappte nicht. Seine Gestalt blieb dazwischen gefangen.
"Du tust mir weh", flüsterte sie und sah ihn wieder an. "Aber ich verstehe nicht, warum. Was ist los mit dir?"
Er sah sie an, seine Augen verdunkelten sich. "Du erinnerst dich nicht."
Sie antwortete nicht, aber Schuldgefühle machten sich in ihrer Brust breit. Als hätte sie es wissen müssen... als wäre sie es ihm schuldig, es zu wissen.
"Ich gehe nirgendwo mit dir hin", sagte sie schließlich nach einer Weile. "Ich will nur, dass du in Sicherheit bist... Ich weiß nicht, warum mir das wichtig ist. Aber es ist mir nicht egal."
Das war das, was der Wahrheit am nächsten kam.
Sie hätte nicht so empfinden dürfen. Sie wusste nicht, wer er war, um ehrlich zu sein. Aber ihn so zu sehen, gebrochen und mit Schmerzen, rührte etwas in ihr, das sie nicht abschütteln konnte.
Bevor sie mehr sagen konnte, ertönten Stimmen in der Ferne.
Sie drehte ihren Kopf ruckartig, ihre Augen weiteten sich. "Das ist die Patrouille von Alessio. Sie kommen!"
Sie versuchte, ihm auf die Beine zu helfen, aber er sackte gegen sie, sein Atem ging immer noch schwer.
Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Es gab keinen Platz, um ihn zu verstecken. Die Bäume waren zu offen, die Lichtung zu ungeschützt. Und er war zu schwach ... zu schwach, um sich ihnen zu stellen.
Seine Hand streckte sich aus und griff nach ihrem Handgelenk. Seine Berührung war sanft, aber fest. "Du musst... ein Portal beschwören."
Neveahs Augen weiteten sich. "Was?!"
"Ein Portal", sagte er wieder. "Jetzt."
"Das ist nicht ... Ich bin keine Hexe."
Seine Augen fixierten die ihren mit einer Dringlichkeit, gegen die sie sich nicht zu wehren wagte. "Du musst mir vertrauen. Du hast es in dir. Auch wenn du dich nicht mehr erinnerst."
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Ich habe noch nie..."
"Bitte Veah", röchelte er. "Versuch es."
Sie zögerte. Die Stimmen waren jetzt lauter. Sie kamen näher.
Sie schloss ihre Augen und atmete scharf ein.
Sie glaubte ihm nicht. Sie glaubte nicht, dass sie Magie oder verborgene Kräfte hatte oder was auch immer er dachte, dass sie war. Aber sie wusste, was kommen würde. Und sie hatte ihn dazu gebracht, sich zu verwandeln ... aber in diesem Zustand würde er Alessios Zorn nicht überleben.
Also griff sie nach innen. Sie suchte etwas, von dem sie nicht wusste, wie sie es finden sollte, aber da war eine rohe Verzweiflung und die Entschlossenheit, ihn zu beschützen.
Plötzlich regte sich etwas. Nicht im Wald, sondern in ihr selbst.
Der Wald blieb davon nicht unberührt. Die Luft veränderte sich und der Wind wurde still.
Als sie ihre Augen öffnete, schwebte ein Riss im Raum direkt neben ihnen und kräuselte sich sanft.
Ein Portal. Es war ein echtes Portal!
Ihre Lippen spalteten sich verblüfft. Sie verstand es nicht. Aber es war da.
Sie erlaubte sich nicht, es in Frage zu stellen. Es war keine Zeit, irgendetwas zu hinterfragen.
Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn zu sich heran. Er stöhnte, schwach und kaum bei Bewusstsein.
"Du musst gehen", sagte sie. "Du kannst nicht bleiben."
Er widersprach nicht. "Wir ... kommen mit ... mir."
Neveah antwortete nicht. Sie hatte nicht die Antwort, von der sie wusste, dass er sie wollte. Als sie ihn nahe genug hatte, hielt sie inne.
Ihre Augen trafen sich, und sein Blick verfinsterte sich, als sie ihre Absichten verstand. Bevor er etwas erwidern konnte, schob sie ihn hindurch.
Das Portal schloss sich augenblicklich und verschwand, als hätte es nie existiert. Der Wald kehrte in seine Stille zurück.
Einen einzigen Atemzug später durchbrach Alessios Stimme die Stille.
"Neveah."
Sie war gefangen. Es ließ sich nicht verbergen. Er wusste bereits, dass sie nicht so bewusstlos gewesen war, wie sie es vorgab.
Aber sie konnte es nicht über sich bringen, sich darum zu kümmern.
Neveah bewegte sich nicht. Ihre Hände zitterten immer noch. Ihre Brust schmerzte noch immer.
Sie drehte sich nicht um, um ihn anzusehen. Ihr Kopf senkte sich und sie ließ die Tränen fallen.